Reinhard Knodt zum Gedenken
Harald Seubert
Am frühen Morgen des 20. Dezember 2022 starb Reinhard Knodt in seinem 72. Lebensjahr. Eine kurze Krankheit ging voraus. Niemand hatte mit diesem Tod gerechnet, zu dieser viel zu frühen Zeit. Der Tod kam erschreckend jäh, plötzlich und schmerzlich. Noch drei Tage zuvor hatte ich mit Reinhard eingehend telefoniert. Manche seiner Freundinnen und Freunde werden ähnlich jähe wache Erinnerungen haben. Über Tod und Sterben hatte Reinhard immer wieder gesprochen, in der membranhaften Öffnung auf die jenseitige Welt, die geistigen, künstlerischen Menschen zweite Natur ist.
Die Ost-West-Akademie war, ganz und gar, Reinhards Idee. Eine seiner genialen Begabungen kam hier zum Tragen: Personen unterschiedlichster Couleur, geistiger Prägungen und Religions- oder Kulturzugehörigkeit zu verbinden. Was der Gegenwart am meisten fehlt, Ambiguitätstoleranz, Ertragen und Interaktion mit anderen, auch ganz anderen: es war ihm Lebenselixier. Daraus lebte die wunderbare informelle Interaktion des Schnackenhofs, des Hauses, an den Pegnitzufern, wo wir unvergessliche Winter- und Sonnwendfeiern begangen haben, und Symposien im Freien: wahre Feste des Denkens.
Der Ansatz und die Bindungen wurden fester, ohne in eiserne Bande und Institutionen gezwungen zu werden. Aus dem Schnackenhof wurde die Ost-West-Akademie, mit Präsidium und flachen Hierarchien. Es gab auch andere Tagungsorte: Schloss Steinhoevel, den Flughafen Hannover und anderes. Durch Reinhards Genialität, zu verknüpfen, entstanden wirkliche Symposien, auf denen die Beteiligten über ihren Fachrayon hinausdachten und sich selbst überraschten. Das Spektrum reichte von Manfred von Osten über Reza Hajatpour, bis zu Tanja Kinkel und Eva Koethen, auch Eveline Goodman-Thau, Ludwig Frambach und Fawzi Boubia.
Reinhard brauchte nicht die smarten Stichworte der Resonanz, denen Hartmut Rosa nun zu Glanz verholfen hat: über „ästhetische Korrespondenz“ hatte er bereits 1994 einen viel beachteten Reclam Band vorgelegt. Die Konzeption der Korrespondenz erweiterte er in einer von Hermann Schmitz` Phänomenologie des Atmosphärischen mit inspirierten wunderbaren Gesamtsicht, elegant geschrieben, ost-westliche Entsprechung, mit aphoristisch scharfen Titeln und Anschauungs-, Anhörungsmomenten durchsetzt.
Reinhard war ein grandios leichtfedriger Essayist, dies stellte er in seinen Rundfunk- und Zeitschriftenessays unter Beweis. Manches davon muss post festum und post mortem publiziert werden. Das akademische Milieu allein hätte ihm nicht genügt. Dazu war er zu sehr Künstler, Meister der Nietzscheschen Experimentalphilosophie. Doch Philosophie sprengt und transzendiert, ebenso wie Kunst, die Bereiche.
Wahr bleibt auch: Reinhard Knodt war ein Philosoph von hohen Graden. Die Dissertation ‚Die ewige Wiederkehr des Leidens‘ über Nietzsche und Schopenhauer signalisiert dies im Gesamtentwurf und in der 1986 publizierten Druckfassung.
Reinhard Knodt war nicht nur ein begnadeter Freund, sondern auch ein Verehrender: er liebte und verehrte meist exemplarische ältere Philosophen und jüngere Frauen. Die Trias seiner Lehrer: Hans-Georg Gadamer, Manfred Riedel und Friedrich Kaulbach zeigt ersteres in kluger Weise. Nicht überall musste Wettstreit sein; freie Schülerschaft in Freiheit zu kultivieren, ist eine eigene Begabung.
Reinhard verband Literatur, Musik, Weltneugierde, vor allem in den Reisen nach Indien, mit Reflexion und Wahrheitssuche. In diesem Sinn war ihm Nietzsche näher als die großen Metaphysiker oder Nachmetaphysiker, unter die Hegel, Schopenhauer und Heidegger gehören.
Von Nietzsche eröffnete sich aber auch der Weg zu Heidegger: Reinhard gehörte engagiert und inspirierend, wie auch anders, seit 2020 dem Beirat der Heidegger-Gesellschaft an.
Dabei war er auch fiktional schreibender Literat mit einem hochgradig entwickelten Sinn für Sprache, Rhythmik und Metrik. Seine Texte, vom Roman bis zum Libretto, auch zum Gedicht brachten es zu funkelnder Überzeugungskraft. Nicht so sehr das geschlossene Werk interessierte ihn, sondern die Energeia, die Korrespondenz auf anderes, aufs Nicht-mehr-Buch, um mit Franz Rosenzweig zu sprechen.
Förderung hatte Reinhard von maßgeblichen Personen früh erfahren. Seine Begabung fiel früh auf. Luise Rinser glaubte ebenso an ihn wie Peter Horst Neumann und viele andere. Sein schriftstellerisches Denken, seine Tiefe, die sich sehr programmatisch und bewusst an der Oberfläche zu verbergen wusste, seine witzig rhetorische Kraft, die nie überredete, machten früh auf ihn aufmerksam. Er hielt den Tonus, vom Anfang bei den Nürnberger Blättern über die Mitorganisation der Nürnberger Gespräche, bis in die späte Krisenzeit. Tragödie und Satyrspiel überlagerten sich, so wie bei dem Symposion, das er für israelische Schriftsteller auf dem früheren Reichsparteitagsgelände veranstaltete.
Das Werk von Reinhard Knodt ist leicht, gepinselt, gestrichelt wie eine chinesische Federzeichnung. Zu China oder Indien hatte er tief-helle Affinitäten, auf der Spur der großen Zeugnisse des deutschen, des europäischen Geistes.
Im durch den viel zu frühen Tod endgültig gemachten Abschied blickt man auf Leben und Werk verändert zurück. Das Werk ist viel umfänglicher in Themen, Akkorden, Klängen, als es aus der Zeit den Eindruck erweckte. Durch Reinhards einzigartige Persönlichkeit erhält es eine Lebendigkeit, die energetisch bleiben wird.