François Fédier (1935‒2021) zum Gedenken
Am 28. April 2021 ist Professor François Fédier, Mitglied des Kuratoriums der Martin-Heidegger-Gesellschaft seit deren Gründung im Jahr 1985, nach schwerer Krankheit in Paris verstorben. Fédier wurde 1935 in der deutschen Schweiz geboren. Seine erste Sprache war und blieb Deutsch. Nach dem Auswandern nach Frankreich vier Jahre später genoss er die profunde und tiefe, auf Philosophie und Philologie gegründete französische Elitebildung in Paris. Im Elternhaus wurden weiterhin beide Sprachen gesprochen.
Fédier erhielt wesentliche Prägungen aus dem Umkreis von Jean Beaufret, der sein Philosophielehrer war, und stand dem Kreis des Dichters und Résistants René Char nahe. Fédier studierte an der Université de Sorbonne und unterrichtete später in der Nachfolge von Jean Beaufret am altehrwürdigen Institut Henri IV in Paris das Hypokhâgne und Khâgne jahrzehntelang.
Schon in jungen Jahren lernte er Martin Heidegger persönlich kennen. 1958 hörte er bereits in Aix-en-Provence Heideggers großen Vortrag über „Hegel und die Griechen“. Fédier war unter anderem Teilnehmer der späten Seminare Heideggers in Le Thor gewesen. Seinerseits prägte er mehrere Generationen junger französischer Philosophen und unterwies sie in der Kunst des Übersetzens, darunter Pascal David, Philippe Arjakovsky, Guillaume Badoual, Alexandre Schild, Fabrice Midal und Hadrien France-Lanord. Es ist zu erwarten, dass aus Fédiers Übersetzer-Schule weitere wesentliche Beiträge der Heidegger-Forschung hervorgehen werden.
Von seinen Schülern wird die außergewöhnliche Intensität der Lehre von Fédier bezeugt: Generationen von Schülern habe er „nicht nur in der Philosophie, sondern im Hören auf die Sprache selbst ausgebildet. Für viele von uns wurde eine Seite von Plato oder Proust, ein Gedicht von Rimbaud oder Rilke, genauso wie ein Gemälde von Matisse, wirklich und lebendig dank der Art und Weise, wie er im Unterricht über sie sprach“ (H. France-Lanord).
Fédiers kongeniale Sprachfähigkeit, Heideggers Begriffssprache in unnachahmlicher Sicherheit im Deutschen wie im Französischen an den alten Stufen nachzubilden, disponierte ihn zur treffenden Übersetzung wesentlicher Werke Heideggers.
Seit dem Tode Beaufrets hatte Fédier die Haupt-Cura für die noch unabgeschlossene Übersetzung der Heidegger-Gesamtausgabe ins Französische am Verlag Gallimard, Paris, inne. Eine vor große Herausforderungen stellende besondere Leistung ist die 2013 erschienene Übersetzung der „Beiträge zur Philosophie. Vom Ereignis“ (GA 65) unter dem Titel „Apports à la philosophie: De l’avenance“. Dass Heideggers Denken in Frankreich eine außerordentliche Resonanz erfuhr, ist vor allem Fédiers Leistungen zu verdanken.
Es erwies sich als glückliche Fügung, dass Fédier auch den Dichtungen Hölderlins in französischer Sprache eine neue Klanggestalt gab. Durch seine kongenialen Übersetzungen und seine Lehre trug er Wesentliches zum geistigen und philosophischen Austausch und zur Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland bei. Die Simplifikation war ihm fremd. Er spürte mit feinem Hörvermögen Heideggers Denken ab: Die akroamatische Dimension der Hermeneutik (Manfred Riedel) war François Fédier zur zweiten Natur geworden. So ist es kein Zufall, dass eine seiner Publikationen den Titel „Entendre Heidegger et autres exercices d’écoute“ überschrieben war.
Die loyale Treue zu Heideggers Denken, die Erkenntnis des Geistes im Buchstaben, prägten Fédiers eigene Lebensarbeit.
Mit Geist, Temperament und Mut trat er für Heideggers Denken ein – gegenüber den verschiedenen Wellen versuchter Diskreditierung, die mit Victor Farías begann, zu Emmanuel Faye führte und in den Jahren seit dem Erscheinen der „Überlegungen. Schwarze Hefte“ innerhalb der Werkausgabe immer groteskere Blüten trieb. Er scheute nicht die Auseinandersetzung mit Gegnern, die in der Berichterstattung vielfache Beachtung fand. Eine der letzten abgeschlossenen Arbeiten Fédiers trägt den Titel „Lire Heidegger sans délirer. Pour une éthique de l’interprétation“ (2019). Dies bleibt sein Vermächtnis: die Ethik der Interpretation, die nüchtern und klar dem großen Denken gewachsen ist.
Mit dieser außerordentlichen Kompetenz wirkte Fédier auch als Kurator der Martin-Heidegger-Gesellschaft über weit mehr als drei Jahrzehnte. Sein Tod reißt eine Lücke, die sich kaum schließen lässt. Die Martin-Heidegger-Gesellschaft bleibt Professor Fédier für seine Lebensarbeit in tiefem Dank verbunden.
Harald Seubert