Ehrendes Gedenken an Christoph Jamme (1953–2021)
Prof. Dr. Christoph Jamme, Ordentlicher Professor für Philosophie an der Leuphana-Universität und seit 2020 Mitglied des neu berufenen Beirates der Martin-Heidegger-Gesellschaft, ist völlig unerwartet am 2. Mai 2021 verstorben.
Der Vorstand der Martin-Heidegger-Gesellschaft ist schockiert und in tiefer Trauer: Herr Jamme hätte einen der Hauptvorträge bei der Jahrestagung im September halten wollen. Eine hoffnungsvoll fruchtbare Zusammenarbeit, die gerade erst begonnen hatte, kam jäh zum Ende.
Christoph Jamme war Schüler von Otto Pöggeler. 1981 wurde er mit einer perspektivenreichen und neue Forschungswege eröffnenden Untersuchung ‚Ein ungelehrtes Buch‘ Die philosophische Gemeinschaft zwischen Hölderlin und Hegel in Frankfurt 1797–1800 an der Ruhr-Universität Bochum von Pöggeler promoviert.
Jamme war in den folgenden Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bochumer Hegel-Archiv und Fellow am Netherlands Institute for Advanced Study in Amsterdam. In diesem Zusammenhang erarbeitete er seine für die Mythos-Forschung Maßstäbe setzende Habilitationsschrift, die in Bochum reüssierte. Sie erschien erstmals 1992 bei Suhrkamp unter dem Titel ‚Gott an hat ein Gewand‘. Grenzen und Perspektiven philosophischer Mythos-Theorien der Gegenwart. Zu dieser Zeit arbeitete Jamme auch in enger Korrespondenz mit Dieter Henrichs Konstellationen-Forschung und edierte mit Henrich zusammen einen viel beachteten Band zu ‚Jacob Zwillings Nachlass‘. Die detektivisch archäologischen Forschungen führten ihn unter anderem nach Jerusalem.
Von 1994–1997 bekleidete der junge Gelehrte dann die Professur für Geschichte der Philosophie unter besonderer Berücksichtigung des Deutschen Idealismus an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1997 folgte er dann dem Ruf auf den Lehrstuhl für Philosophie an der Leuphana-Universität Lüneburg. Die Etablierung neuer Studiengänge und die Etablierung des Faches Kulturtheorie in Lüneburg gingen wesentlich auf Jamme zurück. Von 2001–2005 war er Dekan des Fachbereichs Kulturwissenschaften und seit 2002 Vorstand des Instituts für Kulturtheorie. Er war in Lüneburg in einer der interessantesten geisteswissenschaftlichen Konstellationen über 25 Jahre prägend tätig.
Die Forschungsschwerpunkte Mythosforschung, Dichten und Denken, Poesie und Philosophie um 1800, Konstellationen der klassischen deutschen Philosophie blieben prägende Akzente von Jammes Werk. Vor dem Horizont Hölderlins näherte er sich immer wieder Heidegger an und hielt im Mai 1996 auf der von Manfred Riedel geleiteten Tagung über Heidegger und Hölderlin einen grundlegenden, unvergesslichen Vortrag.
Hohes philologisch-philosophisches Ethos verband Jamme souverän wie wenige mit öffentlichkeitswirksamer wissenschaftlicher Kommunikation und internationaler Präsenz. Das internationale Renommée wurde durch die Mitherausgeberschaft des Bandes Aesthetics and Literature in dem vierbändigen Standardwerk The Impact of Idealism gefestigt.
2013 erschien eine Summe seiner philosophischen Mythologie-Forschungen unter dem Titel Mythos als Aufklärung. Dichten und Denken um 1800 im Wilhelm-Fink-Verlag. Bei allem Tiefenbohrungen und Detailklärungen, als akademischer Lehrer hatte Jamme einen umfassenden Horizont, der von der Antike bis zur Nachmoderne reichte.
Das Wechselverhältnis zwischen Philosophie, Kunst- und Literaturwissenschaften war Jamme ein besonderes Anliegen, der Brückenbau klassischer Traditionen in neue Forschungsprofile auch ein Schwerpunkt seiner akademischen organisatorischen Leistungen in Lüneburg. Für transdisziplinäre neue Forschungs- und Denkperspektiven, vor allem aus dem französischen Sprachraum hatte Jamme eine hohe Sensibilität. Immer wieder kehrte er allerdings zu den Zentralgestirnen Hegel und Hölderlin zurück, mit besonderem Schwerpunkt auf dem Denken Heideggers, dessen Analyse und Originalität ihm eine zentrale Stellung in der philosophischen Forschung zu diesem Denker gegeben haben.
Die jüngste große Publikation, der er sich mit Hingabe widmete, ist die gemeinsam mit Kathrin Busch verantwortete Edition des umfangreichen Briefwechsels zwischen Otto Pöggeler und Martin Heidegger, die erst 2021 bei Alber erschien. Damit rundet sich, von heute aus gesehen, der Lebensbogen zu den Anfängen und zugleich bildet diese Fermate im jähen Abbruch eine besondere Verbindung zu Heidegger.
Von Christoph Jamme wäre noch vieles zu erwarten gewesen. Umso größer ist der Verlust, ist aber auch der Dank für das, was er hinterlassen hat.
Die Martin-Heidegger-Gesellschaft bleibt ihm verpflichtet und wird sein Erbe weiterführen.
Harald Seubert, Klaus Neugebauer, Manuela Massa
Photo Christoph Jamme: (c) Leuphana-Universität Lüneburg